Einseitige Ansichten, Vorurteile und unsachliche IG-Diskussionen?

Im jüngsten Podcast auf Oberhessen-live „Einseitige Ansichten, Vorurteile und unsachliche IG-Diskussionen“ verbreitet Torsten Schneider leider doch einiges Wirres oder doch zumindest Oberflächliches.

Man sollte, und das gilt für alle Beteiligten, alle Angaben und Behauptungen kritisch hinterfragen. Da geht es z.B. um die Prognose einer zukünftigen Verkehrsbelastung von 5.926 Fahrzeugen pro Tag, die in der Begründung zum Bebauungsplan steht. Klar ist, dass jetzt, wo man weiß, wer da auf die Fläche will, es einer neuen Prognose bedürfte. Aber außer ein paar Angaben der Logistiker selbst gibt es da nichts. Und bei denen gibt es keinerlei Angaben zu den möglichen Pendlerströmen. 

Nun glaubt Herr Schneider offenbar unbesehen Bürgermeister Paule, der die Begründung zum Bebauungsplan zur Nebensächlichkeit erklärt. Wer sich aber die Beschlussvorlagen zu den Bebauungsplänen für die Stadtverordnetenversammlung ansieht, wird feststellen, dass die Begründungen Teil des Beschlusses sind, über den die Stadtverordneten abstimmen. Also doch nicht Pillepalle.

Torsten Schneider kann an den kritischen Hinweisen, dass die Logistiker Probleme haben würden, genügend Personal zu finden und an der fortschreitenden Automatisierung nichts negatives sehen und spricht an verschiedenen Stellen von „absurden“ Argumenten. Die Argumente könnten falsch oder richtig sein, aber warum absurd?

Schneider meint, eigentlich müsse die ALA über Personalknappheit froh sein, weil mit der Arbeitskräftenachfrage die Löhne steigen könnten. Aber er argumentiert am Problem vorbei. Das eigentliche Problem liegt darin, dass die nachgefragten Arbeitskräfte physisch fehlen und entweder von sonst wo rangeschafft werden müssen (in der unmittelbaren Nachbarschaft gibt es sie auch nicht) oder sie müssen durch Maschinen ersetzt werden.

Gerade diese Woche stand im Wirtschaftsteil der FAZ ein Bericht, dass Amazon in seinem Kerngeschäft Umsatz- und Gewinnrückgänge hätte und das Unternehmen Probleme hätte, Personal zu finden. Das ist inzwischen nicht nur ein Problem der Bezahlung. Aktuelle hessische Studien belegen den Arbeitskräftemangel der kommenden Jahre für den Vogelsberg, Schwalm-Eder und Hersfeld-Rotenburg, da vor allem auch in der Logistikbranche.

Eigentlich könnte die Personalbeschaffung das Problem alleine der Unternehmen sein, aber in Alsfeld propagiert die CDU das Zukunftweisende der Logistikansiedlung mit 1000 Arbeitsplätzen.

Die fortschreitende Automatisierung der Branche ist mitnichten des Teufels, nur wer sich große Vorteile von z.B. DHL für die Stadt verspricht, sollte wissen, dass deren Gewerbesteuerverteilung für ihre Standorte sich unter anderem an der Zahl der Beschäftigten bemisst.

Im Podcast geht es auch um gute oder schlechte Jobs. Schlechte Jobs gäbe es angeblich nicht – Job sei Job. Das darf man in Frage stellen. Es gibt reichlich harte Arbeit, die schlecht bezahlt wird. Gerade letzte Woche gab es eine Pressemitteilung in der Lokalpresse, nach der jeder fünfte Vogelsberger Vollzeitbeschäftigte Geringverdiener sei. Besonders Frauen seien betroffen: im Vogelsberg 23,5%. Noch prekärer wird es bei den Teilzeitbeschäftigten. In Vogelsberger Reinigungsfirmen haben 2021 ca. 30% einen Minijob als alleiniges Einkommen.

Das Problem mit der Stellungnahme der Jungen Union liegt nicht da, wer meint, welche Mehrheit zu vertreten. Das Problem ist der von ihnen gepflegte Jugendkult, der mit einem frechen Seniorenbashing einhergeht. Dabei ist ein guter Teil der aktiven Kritiker an den Planungen zum Gewerbegebiet ganze 5 – 10 Jahre älter als die Gruppe der Jungen Union.

Der Entwurf des neuen Regionalplans Mittelhessen empfiehlt den Kommunen bei der Ausweisung neuer Gewerbegebiete, die Ansiedlung von Logistikern auszuschließen. Bekanntermaßen sitzen in der Regionalversammlung Mittelhessen auch die Fraktionen der CDU und der Freien Wähler.

Übertreiben die Kritiker des Gewerbegebiets, wenn sie die enorme Versiegelung und Hallenbebauung visualisieren. Der Bebauungsplan in seiner jetzigen Fassung erlaubt Hallenhöhen bis zu 20 Meter. Dies, obwohl es in einer Auflage des Regierungspräsidiums von 2013 heißt, dass eine Begrenzung der Gebäudehöhen unter Berücksichtigung landschaftlicher und topographische Gegebenheiten sowie Blickbeziehungen vom Homberg auf die Stadt Alsfeld gefordert wird.

Kommt die Kritik an den Plänen zum Industriegebiet zu spät, geht es jetzt eigentlich nur noch um Nuancen, wie man aus der Jungen Union meint? Ganz bestimmt nicht. Erst der Satzungsbeschluss schafft Baurecht. Die Stadtverordnetenversammlung hat mehrheitlich beschlossen, an wen man zu welchen Konditionen verkaufen möchte – Kaufverträge mit den Unternehmen dürfte es eigentlich nicht geben. Zu beraten und zu beschließen wären noch städtebauliche Verträge.

Zu den bisherigen Ansiedlungsplänen gibt es Alternativen, sowohl was die Größe des Gebiets angeht als auch was da präferiert hinsollte. Die möglichen Umwelt- und Klimabelastungen durch neue Gewerbegebiete sind eigentlich unbestritten, auch bei der Alsfelder CDU. Nur die Junge Union scheint auf diesem Auge blind. Aber im Wissen um die ökologische Belastung nimmt man diese in Kauf, weil man sich enorme wirtschaftliche Vorteile verspricht. Da steckt der ganze Kern der Kontroverse.