von Walter Windisch-Laube
Die kommunale „Christlich Demokratische Union“ (CDU) zelebriert Dynamik und Aufbruch. Ob wir die ihr im Sinne eines Motors oder doch eher einer Blendlaterne glauben mögen, ist dabei gar nicht die entscheidende Frage. Vielmehr fragt es sich, ob das Strampeln innerhalb eines an fast allen Enden und in beinahe sämtlichen Ecken maroden Systems so etwas wie wirksame Bewegung überhaupt gestattet, ob das grundsätzlich Im-System-Verharren jene notwendigen Veränderungen möglich macht, ohne die ein würdiges Überleben und Vererben an die Nachkommenschaft aufs Schärfste in Frage steht.
Dieses unser politisch-gesellschaftliches System, das von Banken, Börse und Mammut-Unternehmen dominiert wird, ein System, in welchem der „Markt“ und das „Wachstum“ (zwei führende Begriffe aus dem herrschenden Euphemismen-Vokabular) beinahe jede fragwürdige Entscheidung rechtfertigen, in welchem „Gewinn“, „Erfolg“, Karriere scheinbar zu fast allem legitimieren, dieses System gehört auf den Prüfstand; solange sich innerhalb seiner die vermeintlichen Beweger als Musterknaben profilieren und präsentieren, ändert sich nichts daran, dass wir in einer totalen, ans Totalitäre grenzenden Autogesellschaft leben, einer geradezu kriminell bewusstseinshemmenden Medienmaschinerie ausgesetzt sind, dass Rüstungsproduktion und -exporte zusammen mit vielerlei überflüssigen Verbrauchs- und Wegwerfgütern die Wirtschaft am Laufen halten, während die Erde im Müll erstickt und Millionen/Abermillionen auf ihr, dem Hunger und erbarmungslosen Kriegen ausgesetzt, unserem Über-die-Verhältnisse-Leben geopfert werden, dass Wohlstands- und Zivilisationskrankheiten das Gemeinwesen schwächen und unterhöhlen oder dass einfache vermeintliche Lösungen sich immer wieder Konjunktur verschaffen können, und vor bzw. über allem, dass der maßgebliche Teil des „Volksvermögens“ in der Parallelgesellschaft einer kleinen, zu großen Teilen gierigen und amoralischen Minderheit verwaltet und verschlossen bleibt, anstatt, demokratisch eingesetzt, unter anderem die Last unserer Schuldenberge abzubauen.
Wo steht überzeugend geschrieben, dass Marktherrschaft der Demokratie dienlich und der Freiheit, der Würde, der Weiterentwicklung der Menschen förderlich ist? Und wo nehmen wir das Recht her, weiter so zu tun, als müsse nichts grundlegend sich verändern, als könne wirtschaftlich und wohlständisch alles so weiter „wachsen“ wie bisher, ohne dass wir unseren Kindern und Kindeskindern die Basis für ein lebenswertes Dasein abgraben?!
Freilich ist der Wandel hin zum verantwortungsvollen Umgang mit unseren Ressourcen und mit dem Gros der Menschen, auch außerhalb der Wohlstands-Hype-Gebiete, nicht zum „Nulltarif“ zu haben. Jede/r einzelne von uns, wenn er/sie denn seine/ihre Kompetenzen im großen Ganzen nicht ständig überschreiten will, ist stets aufs Neue aufgefordert, das eigene Energie- und Mobilitätsverhalten, das oftmals allzu starre Verhaftet-Sein an Konventionen und Traditionen, den eigenen Verbrauchsgüter-, Fleisch- oder Modekonsum, die Anspruchshaltung und das eigene Rollen- und Sozialagieren, ihr/sein gesamtes Denken und Tun also, einer immer wiederkehrenden Prüfung und Revision zu unterziehen – mitsamt den notwendigen Folgerungen im eigenen Handeln Tag um Tag. Für jede/n einzelne/n gilt immer neu der Appell, den Rilke seinerzeit einem antiken, fragmentierten Kunstwerk zu-geschrieben hat: „Du musst dein Leben ändern“.
Denn dieses System, in dem wir leben, von dem wir profitieren und das wir mittragen, ist ein hochgradig schizophrenes, krankes, krankmachendes: zugleich freiheitlich und zerstörerisch, sozial und zutiefst ungerecht, offen und verlogen, wissensorientiert und oberflächlich, leistungsfixiert und unreflektiert, zu Fleiß und Arbeitsamkeit erziehend und zugleich allgemeine Denkfaulheit begünstigend und massenhaft ausprägend. Überwachung, Genmanipulation, destruktiver Lebensstil, Mitläufertum, aktive/direkte und passive/indirekte Ausbeutung, Quotendiktat, Leichtgläubigkeit …: sie alle (und eine ganze Herde scheinbar ‚heiliger Kühe‘) dominieren unser alltägliches Tun weit mehr, als wir es gemeinhin wahrhaben wollen.
Wie kann ein Gemeinwesen zukunftsfähig sein, das großenteils von asozialen Superreichen am Laufen gehalten wird, denen wir uns oft genug wie Marionetten hergeben; ein „Gemeinwesen“, aus dem heraus sich die Konzerne im Energie-, im Pharma-, im Unterhaltungselektronik-, im Verkehrsbereich etc. fortwährend ihre Pfründe sichern und sie mit Zähnen und Klauen, sprich: mit einem Aufwand an Werbung und Lobbyismus fortschreiben, von dem alle Kommunen in Hessen (und noch darüber hinaus) sogleich ihre Haushalte sanieren könnten.
Kann es, mit Adorno zu fragen, ein Richtiges im Falschen geben? Vermag Hochglanz über die nur matt spiegelnden, multipel verseuchten und weithin zum Himmel stinkenden Pfützen hinwegzutäuschen? Wie sollte irgendwem außer den Macht- und Geld-„Eliten“ auf Dauer ein Aktionismus helfen, der nicht zu den Wurzeln der Übel vordringt!