Pandemie und Digitalisierung

Walter Windisch-Laube /  04.05 2021

Die Covid-19-Pandemie hat das weitreichende Versagen der so genannten Digitalisierung entblößt und wird es vor allem in den nächsten Jahren fortgesetzt tun: Indem uns nämlich mehr denn je auf die Füße fallen wird, dass die Ausbreitung des Digitalen durch lange Jahre ohne Sinn und Verstand, sprich ohne Schwerpunkt auf Bewusstsein und Kultur, auf Menschheits- und Menschlichkeits-Kriterien also, vor sich ging. Stattdessen erfolgte ein Großteil der digitalen Eingriffe als schnell gestrickte Aufrüstung ohne hinreichenden gesellschaftlichen Diskurs und vor allem nach primär (oder primatenhaft[1]?) wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Wo blieb dabei die mentale Ertüchtigung derer, die, medial zusehends verblödend, unsere Zukunft sein sollen? Wo war und ist das Wachrütteln der Masse ‚Mensch‘, die in nie dagewesener Weise dazu verleitet wurde, sich zu Tode zu amüsieren und schon lange vor dem letzten Atemzug dermaßen überzukommunizieren, dass die Grenzen von Lethargie und Apathie mehr als nur gestreift werden?! Und warum wurden die von vielen Weitsichtigen bereitgehaltenen Ideen und Konzepte für eine digital assistierte Weiterentwicklung der Spezies Homo s. so weitgehend außer Acht gelassen? Stattdessen (und zugleich als Antwort auf unsere Frage): der „globale Markt“ als Pseudo-Konzept. Dieser ‚Markt‘, wenn er losgelassen, das wissen wir längst, ist etwas wie ein moderner Satan, welcher die Erde – als Hort der Menschen zumindest – unsäglich zurichten und letztlich unter sich begraben wird. Direkt wie auch indirekt: stellen wir uns vor, unser Forschen, unsere kreative Energie und unser tätiges Handeln wären mit Umsicht und digitaler Hilfe in eine ebenso maßvolle wie maßstäbliche Weiterentwicklung von Gesundheitsvorsorge und -empirie, Bildung, eigenständigem Denken und demokratischen Strukturen geflossen; die politischen ‚Entscheider‘ (dann eben nicht bloß Getriebene) hätten eine völlig andere, wesentlich breitere und differenziertere Grundlage für ihr Vorgehen in dieser Pandemie gehabt (das sohin auch guten Gewissens ‚Vorgehen‘ hätte genannt werden können). So aber haben wir alle mit der Verfahrenheit zu leben und eben auch zu sterben, höchstwahrscheinlich sogar – mit oder ohne Viren – bald auszusterben. Uns bleibt (oder doch: bliebe?) nur eine Chance, das ungewiss Gewisse, sich in scheinbarer Ferne rasend Nähernde gleichermaßen nachhaltig und langfristig abzuwenden sowie den ‚postpandemischen‘ Kurs in Richtung wenn nicht des Guten, so doch des Besseren zu kehren, hin zu einem ‚Land in Sicht‘: die gerade noch vorhandene Chance nämlich, das ganze System herunterzufahren. Uns unverzüglich zu verabschieden von dem, was euphemistisch-demagogisch als ‚Wachstum‘ bezeichnet wird, verabschieden zugunsten eines ebenso lustvollen wie demokratisch-sozialen Verzichts. Gewiss, wir hätten das vor einem halben Jahrhundert schon tun müssen[2]; umso größer zu schreiben aber ist nun das JETZT! 


[1] Vgl. Erich Kästner: „Einst haben die Kerls auf Bäumen gehockt,/ […]. […] und / bei Lichte betrachtet sind sie im Grund / noch immer die alten Affen.“ (womit er freilich leider den Affen zugunsten der literarisch-humoristischen Zuspitzung gehörig Unrecht getan hat).

[2] Zur Erinnerung: 1972 veröffentlichte der „Club of Rome“ seine wegweisende (und leider weithin auf der Strecke gebliebene), eindringliche Studie ‚Die Grenzen des Wachstums‘.